Anwerbeabkommen Deutschland-Türkei

Was hat das Anwerbeabkommen mit der Türkei und Ethno-Marketing miteinander zu tun??

Ab 1955 schloss das wirtschaftliche aufstrebende Deutschland Anwerbeabkommen mit europäischen Staaten, um den Arbeitskräftemangel nach dem Krieg auszugleichen. Die ersten Abkommen wurden zwischen Italien, Spanien und Griechenland geschossen. Am 30. Oktober 1961 folgte das Anwerbeabkommen mit der Türkei, das -wie wenigen bekannt ist- von der Türkei initiiert wurde.

Das Ungewöhnliche für die Deutschen war daran, dass die Türkei ein muslimisch geprägtes Land war und ist und der Islam in Deutschland nach Krieg und Holocaust für die meisten doch eher befremdlich erschien. Laut Wirtschaftsforschern stand dies jedoch außen vor. Die Diplomaten sahen vor allem die Win-Win-Situation: hohe Arbeitslosigkeit sowie Außenhandelsdefizit in der Türkei und Arbeitskräftemangel in Deutschland sowie eine Chance Deutschlands der Türkei auf NATO-Ebene näher zu rücken, denn die Türkei war zu dem Zeitpunkt der wichtigste Posten an der Südost-Grenze zur ehemaligen Sowjetunion.

Planung und Wirklichkeit

Geplant war ein rotierender Austausch von Arbeitskräften, so dass die Arbeitsverträge immer für ein bis zwei Jahre ausgestellt wurden. Zunächst wurden nur unverheiratet Männer angeworben und in notdürftigen Wohnheimen untergebracht, denn es waren „nur“ Gastarbeiter mit einem zeitlich begrenzten Aufenthalt. Als Arbeit auf Zeit zur Unterstützung der Familie in der Türkei und als Chance einen Grundstein für mehr Wohlstand „drüben“ zu legen, wurde die Arbeit in Deutschland auch von den türkischen Arbeitskräften gesehen. Es begab sich jedoch anders. Für Fabriken, Bergwerke und andere Arbeitgeber war das erdachte rotierende System von Arbeitskräften wirtschaftlich unpraktikabel, denn nach zwei Jahren waren die Arbeitskräfte sehr gut angelernt und ein Austausch mit nachkommenden Arbeitskräften hätte bedeutet, wieder Zeit und Geld in das Anlernen zu investieren. Auch die bereits anwesenden türkischen Arbeitskräfte nutzen die Möglichkeit erneut einen Arbeitsvertrag für zwei Jahre aufzusetzen. Der bereits früh ermöglichte Familiennachzug wurde zunächst nicht genutzt, denn die Arbeit in Deutschland wurde weiterhin als Interimssituation im Leben gesehen. Ehrlicherweise muss man sagen, dass an dieser Stelle sowohl Deutsche als auch Türken blind waren und keine Gedanken an das Thema Integration verschwendeten­ obwohl bereits einige Stimmen laut wurden. So zum Beispiel Max Frisch: “Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen“. Es war allen Beteiligten also auf eine Weise recht, dass jeder sein eigenes Süppchen kochte und die türkischen Arbeitskräfte ihre Kultur und Religion pflegten und überwiegend isoliert blieben. Dazu gehörte die Zubereitung türkischen Essens, die Ausstattung des spärlichen Wohnraums mit türkischen Dekorationsartikeln und die Ausübung der Religion, selbst wenn letzteres in der Türkei eher vernachlässigt wurde. Dieses Leben diente den Gastarbeitern als Anker für Identität und Trost gegen das Heimweh, denn das Leben in Deutschland war hart. Viel Arbeit, Sprachbarrieren, fremde Gewohnheiten, Diskriminierung und Rassismus bestimmten das Leben der meisten. Ein weiterer Grund „unter sich“ zu bleiben. Hinzu kam, dass im Zuge der Ölkrise das Anwerbeabkommen mit der Türkei gestoppt wurde. Viele Arbeiter entschlossen sich nun sesshaft zu werden und ihre Familien nachzuholen, da dies womöglich die letzte Chance war. Für die Familienzusammenführung war es jedoch notwendig, ausreichend Wohnraum nachzuweisen. Findige Immobilienbesitzer kamen nun auf die Idee, stark sanierungsbedürftigen oder eigentlich abrissreifen Häuser, z.B. in Berlin-Kreuzberg, an türkische Arbeiter zu vermieten, denn sie brauchten in ihrer Not einen Mietvertrag. So kam es vielerorts zur regelrechten Ghettoisierung. Die türkische Community, jetzt in klassischen Familienkonstellationen, blieb also meist unter sich. Mit einer anderen Regelung der Aufenthaltsgenehmigung war es Türkeistämmigen nun auch gestattet, Geschäfte zu eröffnen. Türkische Gemüselädchen, kleine Supermärkte und natürlich Döner-Kebap-Läden wurden eröffnet und vereinfachten die türkische Kulturpflege. Die ehemaligen Gastarbeiter und ihre Nachkommen blieben Grenzgänger zwischen den Kulturen. Dies galt und gilt übrigens auch für Deutschtürken in der Türkei. Denn hier werden sie nicht mehr als „echte“ Türken angesehen, sondern aufgrund von verändertem Kleidungsstil, Sprache und neuen Gewohnheiten, werden sie hier als „Almanci“ bezeichnet.

Ethno- und Halal-Marketing

All dies führte dazu, dass sich viele der zweiten bis vierten Generation Türkeistämmiger nach wie vor stark an die türkische Kultur, Bräuche und den Islam gebunden fühlen. Eltern können immer nur das an ihre Kinder vermitteln, was ihnen wichtig erscheint und vielfach ist dies aufgrund einer schwierigen und teilweise traumatisierenden Lebens- und Arbeitssituation die türkische Kultur, Sprache und der Islam, denn dies ist ihre wichtigste Stütze im Leben geblieben.

Dieses spezielle Konstrukt macht Ethno-Marketing für Türken in Deutschland nach wie vor möglich und weiterhin sehr ertragreich. Laut statistischem Bundesamt lebten 2019 4,3 Millionen Türkeistämmige in Deutschland. Eine große und finanzstarke Kundengruppe, die sowohl Interesse an bestimmten Nahrungsmitteln als auch an Konsumgütern hat. Die türkische Küche, allem voran natürlich der heißgeliebte „Döner“, ist mittlerweile in der Mitte der deutschen Gesellschaft angekommen. Für die Zubereitung werden bestimmte Zutaten benötigt. Für Muslime zählen hierzu vor allem Nahrungsmittel, die „halal“, also „rein“ nach islamischen Richtlinien, sind. Eine Unterkategorie des Ethno-Marketings ist daher das Halal-Marketing. Zu beliebten Konsumgütern zählen vor allem hochpreisige Artikel wie Markenkleidung, Autos, Elektrogeräte aller Art, Handys und Möbel.

Ethno-Marketing funktioniert genauso bei anderen Einwanderernationen wie etwas Russlanddeutschen. Interessant sind hier ebenso hochpreisige Produkte und eine Ansprache, die den kulturellen Background berührt. „Berühren“ scheint in Bezug auf Ethno- und Halal-Marketing DAS Stichwort zu sein, denn wer sich positiv berührt fühlt, fühlt sich respektiert und verstanden und dies ist die Basis eines Vertrauensverhältnisses, das mit großer Wahrscheinlichkeit zur Kaufentscheidung führt.

Wirtschafts- und Kriegsflüchtlinge stammen häufig aus islamischen Ländern. Somit wird Halal-Marketing zukünftig an Wichtigkeit gewinnen. Halal-Produkte sind Nischenprodukte, die sich oftmals auch in die Nische „vegan“ und „vegetarisch“ einfügen. Hier besteht die Chance mit einem Produkt direkt zwei Nischen zu bedienen.

Weiterhin weist Deutschland einen eklatanten Fachkräftemangel auf. Diesem kann nur durch die Einwanderung ausländischer Fachkräfte entgegengewirkt werden, wenn der Wirtschaftsstandort erhalten werden soll. Eine spezifische und interessante Ansprache in zukünftigen Anwerbeländern erleichtert das Recruiting. Und wiederum ergibt sich durch die Einwanderung ein wirksamer Ansatz für Ethno-Marketing.